Quartalsblatt 2002-IV

Reise auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser

Voller Erwartung begann am 26. September, 22 Uhr in Schwabendorf die Busreise nach Südfrankreich für 39 Teilnehmer aus Schwabendorf, Rauschenberg, Kirchhain, Dortmund, Berlin und aus dem Siegerland. Später bei den Raststätten "Bruchsal" und "Schauinsland" kamen weitere sechs Mitreisende aus Kirchzarten, Pforzheim und München dazu. Gerhard Badouin, Vorsitzender des Arbeitskreises für Hugenotten- und Waldensergeschichte und Reiseleiter, begrüßte alle herzlich. Der Busfahrer Gerhard Ignatovic steuerte den Bus sicher und ruhig über die nächtlichen Straßen, so dass wir morgens am nächsten Tag in Vienne, der Stadt mit der bekannten Spitzenindustrie , ein französisches Frühstück mit "café au lait et croissant" genießen konnten. Erste Eindrücke von römischen Bauten gewannen wir in Orange. Bei strahlendem Sonnenschein besichtigten wir das gut erhaltene römische Theater und das Triumphtor mit den eindrucksvollen Reliefs. Nach insgesamt 1080 km Fahrt erreichten wir abends Nîmes und bezogen das "Hotel de Provence" im Stadtzentrum, fünf Minuten vom Amphitheater entfernt. Etliche erkundeten nach dem Abendessen noch Teile der Stadt. Die 28 Neulinge der Frankreichtour waren sichtlich erstaunt ob der Größe und des guten Zustands der Gebäude aus der Römerzeit (Amphitheater, Maison Carrée). Am 28. Sept. besuchten wir Aigues-Mortes, die "Stadt der toten Wasser", die von Sümpfen umgeben ist. Im 13. Jahrhundert war Aigues-Mortes eine alte Seefestung, von hier starteten Kreuzzüge (u. a. von Ludwig dem Heiligen angeführt). Die Stadt war aber auch einer der hundert Sicherheitsplätze für Hugenotten. Nach Aufhebung des "Edikts von Nantes" 1685 waren sie wieder schlimmen Verfolgungen ausgesetzt. Auf einem Gedenkstein am Eingang der Befestigungsanlage ist zu lesen: Zum Gedenken der hugenottischen Gefangenen und aller, die für ihren Glauben zu widerstehen wußten und für die Freiheit des Gewissens. (Tour de Constance 1241 - 1249) Sehr eindruckvoll war der "Tour de Constance", der außerhalb der 550 x 300 m langen Stadtmauer steht. Er ist durch eine Brücke mit ihr verbunden. 40 m hoch, mit einem Durchmesser von 22 m und sechs Meter dicken Mauern wirkt er wie ein unheimlicher Klotz. Ab 1708 diente er als Gefängnis für unbeugsame Hugenottinnen, die ihre Männer nicht verrieten und auch nicht ihrem protestantischen Glauben abschworen. Marie Durand war 38 Jahre ihres Lebens dort inhaftiert. Gertrud von Le Fort beschreibt ihr Leben in der Novelle "Turm der Beständigkeit". Bedrückend wirkte das im Gefangenensaal vorgetragene Gedicht "Die Füsse im Feuer" von C. F. Meyer. Es schildert die Begegnung eines königlichen Dragoners mit einem Hugenotten, dessen Frau vor einiger Zeit von eben diesem Reiter gefoltert und getötet wurde. Der Rundgang auf der gut erhaltenen Stadtmauer mit zahlreichen Wachtürmen und Toren vermittelte uns einen Eindruck von der als Rechteck angelegten Stadt. Die hohen Mauern schützten u. a. vor dem salzhaltigen Wind. Auch heute wird im Rhônedelta Salz gewonnen. Wir sahen umfangreiche Salzberge in der Nähe der Stadt. Bei der Weiterfahrt durch die Camarque kamen wir an Herden schwarzer Stiere, weißer Pferde und später an rosa gefärbten Flamingos vorbei. Reis- und Karottenfelder (die Hugenotten brachten das Wort Karotte, le carot, mit nach Deutschland.), Salzwiesen und Pinienwaldstreifen wechselten einander ab. Am Mittelmeer liegt Les Saintes Maries de la Mer, der weiße Hauptort der Camarque. Im Mai versammeln sich hier alljährlich Sinti und Roma aus der ganzen Welt, um ihrer Schutzpatronin Sara, Dienerin der drei Marien, zu huldigen. Die festungsähnliche Kirche sollte vor allem die kostbaren Reliquien der Marien vor Sarazeneneinfällen schützen. Die Mutigen unserer Reisegruppe nahmen bei ca. 18° C Wassertemperatur nur ein kurzes Bad im Mittelmeer. Auf der Rückfahrt betrachteten wir in St. Gilles die großartige Portalanlage der Kirche, die die Heilsgeschichte mit Szenen aus dem Leben Christi in romanischer Bildhauerarbeit zeigt. Weiße geschmückte Pferde und schmucke Reiter warteten vor der Kirche auf ein Brautpaar - wir auch. Nîmes war und ist das Zentrum des französischen Protestantismus. Am Sonntag, dem 29. Sept., konnten wir dort im "Alten Temple" der Hugenotten an einem protestantischen Gottesdienst mit Abendmahl teilnehmen. Ein interessantes Gespräch nach dem Gottesdienst mit dem Pfarrer und einem deutsch stämmigen katholischen Besucher, der in der Nähe von Nimes lebt, rundeten dieses Erlebnis ab. Am Nachmittag lernten wir die Altstadt mit den schon anfangs erwähnten römischen Bauten und dem barocken "Jardin de la Fontain" kennen. Vielerorts entdeckten wir das Stadtwappen, ein an eine Palme gekettetes Krokodil. Es erinnert an den Sieg des Augustus über Antonius und Kleopatra am Nil. Augustus soll im Raum des heutigen Nimes Land an die Veteranen verteilt haben. Möglich ist aber auch, dass Caesar schon um 44 vor Chr. Nimes gründete. - Bekannt ist heute wegen seiner Festigkeit der Jeansstoff "Denim" (de Nimes - aus Nimes). Schon Columbus soll diesen Stoff für die Segel seiner Schiffe verwendet haben. Der nächste Tag brachte uns zum Pont du Gard, dem mächtigen 2000 Jahre alten Aquädukt römischer Baukunst. Er leitete das Quellwasser der Eure von Uzes über 50 km nach Nimes. Dem Lauf des Gard folgend kamen wir nach Moussac (Badouin/17. Jhd.), Massanes (Foucard) und Mas Soubeyran, weiteren Hugenottendörfern. In dieser Gegend sahen wir auch erhebliche Schäden, die das Hochwasser wenige Wochen vor unserer Reise verursachte. Sehr beeindruckt waren wir vom "Musée du Desert", dem berühmten Hugenottenmuseum im Süden der Cevennen. Es verfügt über umfangreiche Exponate aus der Zeit der Verfolgung. Der größte Bambuswald Europas war wegen Hochwasserschäden geschlossen. Am 1. Oktober führte unsere Route über Tarascon nach Les Baux de Provence, der Ruinenstadt auf einem Felsrücken der Alpilles. Von hier kann der Blick über die halbe Provence schweifen, wenn das Wetter "mitspielt". Eine mächtige mittelalterliche Burganlage und verlassene Häuser erinnern an eine große Vergangenheit (Treffpunkt der Troubadoure). Im 16. Jahrhundert wurde die Burg Zufluchtsort der Hugenotten. Richelieu ließ die Anlage zerstören. - 1822 wurde in dieser Gegend Bauxit (Aluminiumerz) entdeckt. Auch an diesem Tag gab es nach kurzem Einkaufsstop in St. Rémy in der Nähe der griechisch-römischen Ausgrabungstätte Glanum (die Anlage war leider geschlossen) das allseits beliebte Picknick im Grünen. In einer Schlucht lagerten wir auf Steinen und Baumstämmen und ließen uns Baguette, Käse, Wurst, Obst und Getränke schmecken. Über Avignon mit Besuch des Papstpalastes und der berühmten Brücke reisten wir weiter und sahen Ménerbes, einst eine fast uneinnehmbare Festung und letzte Zuflucht der Hugenotten und Waldenser im Bergland des Lubéron. Erst nach fünfjähriger Belagerung ergaben sie sich. Wir erreichten Roussillon mit seinen sehr eindrucksvollen leuchtend gelben bis rostroten Ockerfelsen. Ocker ist einer der beständigsten Farbstoffe und wurde schon für die Zeichnungen in steinzeitlichen Höhlen verwendet. Am Abend des 2. Oktober kamen wir - dem Tal der Durance folgend - nach Gap, unser zweites Quartier. Vom Hotel "Porte Colombe" aus erlebten wir leuchtendes Alpenglühen. Gap ist die Hauptstadt des Departements Hautes Alpes. Die Schluchten des Guil, das Val Queyras, die Orte Aiguilles, Guillestre, Abriès, Chateau Queyras, Ristolas und St. Véran lernten wir am darauf folgenden Tag kennen. Die Namen Winter- und Sommerseite - als Straßennamen aus Schwabendorf bekannt - bezeichnen hier in den Cottischen Alpen Gebiete, die in Schluchten der Sonne zugewandt (Sommerseite) und abgewandt (Winterseite) liegen. Während an der Sommerseite Getreide, Kartoffeln und Hirse angebaut werden, sieht man an der Winterseite Wald. Häufig muß das Getreide wegen der kurzen Sommerzeit - oft liegt von Oktober bis Mai Schnee - unreif geerntet werden. Unter überstehenden Dächern läßt man es in der oberen Etage der Häuser nachreifen. Aiguilles ist der Stammort der Badouins; 13 Badouin-Nachfahren waren mit uns auf der Reise. Die Schwabendorfer Gründerfamilien Allard/Surdel kamen aus Guillestre. Von Ristolas führte uns eine Wanderung entlang am Guil bis hinauf zu einer Alm. Mit den weidenden Jungrindern machten einige nahe Bekanntschaft! Der Monte Viso, mit 3841 m der höchste Berg der Cottischen Alpen, lag schneebedeckt im Sonnenschein vor uns. Er liegt schon in Piemont auf italienischem Gebiet . St. Véran, der mit 2040 m höchstgelegene bewohnte Ort Europas, gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. Ein Gang durch den Ort zeigte uns, dass hier wirklich die Zeit stehengeblieben zu sein schien. Mit Steinplatten oder langen Holzschindeln sind die Dächer gedeckt, die Wände und Schornsteine sind aus runden Feldsteinen errichtet. Honig, kunstgewerbliche Holzarbeiten und wenige landwirtschaftliche Produkte sind neben dem Tourismus die Haupteinnahmequellen der Bevölkerung. Nach einem letzten Einkaufsbummel in Gap suchten wir noch Orpierre, den Stammort der Familien Faure/ Maigre auf. Eine Kletterpartie auf den Hausberg, ein Gang durch den Ort bis zum "temple" und dem Friedhof beschlossen unsere letzte Tagestour. Ein gemütlicher Abend mit Rückblick auf die neuntägige Hugenottentour mit herzlichem Dank und einem Reisekorb, gefüllt mit den Produkten unserer Reisestationen an den Reiseleiter für die sehr gut organisierte Fahrt, mit Dank des Reiseleiters an die harmonische, gut "funktionierende" Gruppe rundete die Reise ab. Mit 6.00 Uhr Wecken, 6.45 Uhr Frühstück und 7.30 Uhr Abfahrt begann der Heimreisetag, der 5.10.2002. Über Grenoble vorbei an Burgund und durch Besançon fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein in Richtung Deutschland. Ab der Raststätte "Breisgau" und bis Schwabendorf hatte uns der Regen wieder. Sowohl das Info-Blatt vor der Reise als auch die Aufgeschlossenheit, Toleranz und wechselseitiges Aufeinander-Zugehen der 45 Reiseteilnehmer sorgten dafür, dass sich auch die "Neulinge" in der Gruppe gut aufgehoben fühlten und eine eindrucksvolle Reise erleben konnten. Beate Kison

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